Designer Paul Smith und „The Art of Stripes“

Fotocredit: ©

Erstveröffentlicht in der Frühjahr/Sommer-Ausgabe 2024

Ein bisschen schräg, ein bisschen kitschig, dabei stets stilvoll und heiter. Die farbenfrohen Designs des Briten Paul Smith beglücken Menschen weltweit. Sicherlich auch deshalb, weil der mittlerweile 77-Jährige als lässiger Sympathieträger der ideale Botschafter seiner eigenen Marke ist. Zu dieser gehören auch Brillen.

Vielleicht besteht die Größe genialer Designer gerade darin, dass sie auch noch andere Dinge in ihrem Kopf haben als die nächste Kollektion. Bei Paul Smith sind es Fahrräder. Sage und schreibe 50 besitzt er davon, sogar eines aus Bambus. Die Leidenschaft, in die Pedale treten zu müssen, lässt den Briten auch auf Reisen nicht los. In den Städten, die er regelmäßig besucht, wie Tokio, Florenz oder Mailand, hat er ein Velo dauerhaft deponiert. In Paris ist es ein Hollandrad. Wäre er nicht mit siebzehn Jahren unglücklich gestürzt, wäre Smith sogar Radprofi geworden. Doch was hätte die Welt dann entbehrt? Der Sohn einer Schneiderin ist eine international erfolgreiche Ikone der Menswear geworden.

Paul Smith gilt als witziger, geistreicher und unaffektierter Workaholic. 2000 wurde er von Prince Charles für seine Verdienste um die britische Modewirtschaft zum Ritter geschlagen.

Das Markenzeichen von Paul Smith sind gleichmäßig breite farbige Streifen, die von der Farbpalette expressionistischer Malerei inspiriert sind und sofort ins Auge springen. Jony Ive, ehemaliger Apple-Designer, schwärmt: „Paul Smith zelebriert die Farbe, als ob sie gerade verboten werden sollte.“ Die farbfrohen „Artist Stripes“ sind zum Bestseller aller Paul Smith-Produktsparten geworden: Man findet sie auf Kragen von Poloshirts, als Akzent an Manschettenknöpfen und als kühner All-Over-Print auf Brillen. Das heitere und verspielte Design hat es bis in die seriösen Chefetagen gebracht und so Anzugträger schöner, in jedem Fall lässiger gemacht: eine kleine Revolution. Angefangen hat Paul Smith 1970 in einem fensterlosen, drei mal drei Meter großen Raum in Nottingham, seiner Geburtsstadt. Das Sortiment von „Paul Smith Vêtements Pour Homme“ war bescheiden: Zeitschriften, Schallplatten, allerlei Krimskrams und natürlich Kleidung, die er jedoch noch nicht selbst hergestellt hatte. Erst 1976, da war Smith 30 Jahre alt, entwarf er seine erste Kollektion, nachdem seine heutige Ehefrau Pauline, eine studierte Modedesignerin, ihn dazu ermutigt hatte.

„Artist Stripes“: Farben und Farbdetails sind zentraler Bestandteil der Eyewear von Paul Smith. Designt und produziert wird diese von Marchon, einem der weltweit größten Hersteller und Vertreiber von Fassungen und Sonnenbrillen.

Auf dem Weg zum Ruhm wusste Smith die Fashionwelt immer wieder zu überraschen. In den 1980er Jahren kreierte er (nach einer Reise in die USA) Boxershorts, in den 1990ern war er einer der ersten Designer, der Fotos auf Stoffe druckte. Doch epochal war vor allem, was er Männern modisch bescherte. Ähnlich wie Giorgio Armani dekonstruierte er den Anzug und machte ihn zu etwas, das man nicht nur zu Arbeit tragen kann. Wahr ist, wenn Paul Smith feststellt: „Vor meiner Mode haben Männer keine Angst.“ Heute hat er rund 130 Geschäfte in mehr als 60 Ländern und es geschafft, unabhängig zu bleiben. Dass er einer der größten britischen Unternehmer und Geschäftsinhaber geworden ist, sieht man dem mittlerweile 77-Jährigen nicht an. Mit seinem  bescheidenen Auftreten und seiner grauen Mähne ginge er fast als Hippie durch. Und das ist er womöglich im Inneren auch geblieben. In seinem Büro im Londoner Stadtteil Covent Garden türmen sich Kitsch und Trödel. Der Kreative braucht das Chaos um sich herum. Sein Motto: „Every day is a new beginning!“ Noch bezeichnender ist dieser Satz von ihm: „Du kannst in allem Inspiration finden. Und falls nicht, schau nochmals hin!“ Blumendrucke auf Samentütchen können den Designer ebenso inspirieren wie die Grafik auf einer Streichholzschachtel.

 „Du kannst in allem Inspiration finden. Und falls nicht, schau nochmals hin!“

Auf der Suche nach Schönheit hat er auch keine Angst vor dem Kitsch. Die Designs sind eklektisch, beziehen sich auf Kunst, Musik und das tägliche Leben. Smith ließ es sich auch nicht nehmen, ein Automobil mit seinen berühmten Farbstreifen zu überziehen. Präsentiert wurde die Sonderausgabe eines „Paul Smith Mini Coopers“ im Mai 2011 auf der Automesse „Trans Sport Show“ in Manila. Im letzten Jahr dann auch noch ein Ausflug ins Museum: Anlässlich des 50. Todestages von Pablo Picasso durfte Smith für das Musée National Picasso-Paris die Ausstellung „Picasso Celebration: The collection in a new light!“ kuratieren. Der Designer kombinierte Exponate des Malers mit vielfach gemusterten farbigen Hintergründen, die natürlich selbst Kunstwerke sind. Bei der Brillenkollektion Paul Smith ist jede Fassung nach berühmten Londoner Straßen benannt. So wird das britische Erbe der Marke betont.

Die Namen der Modelle sind auf den Innenbügeln in Pauls Handschrift aufgedruckt. Die Brillen werden in Italien hergestellt und verbinden klassische Silhouetten mit avantgardistischen Elementen wie unkonventionellen Formen und dem unerwarteten Einsatz des ikonischen Künstlerstreifens. Häufig ist das Material mehrschichtiges Acetat. Paul Smith gilt zu Recht als einer der humorvollsten und originellsten Designer weltweit. Er steht für britische Ironie und stilvolle Verschrobenheit. Scheinbar ist das Ergebnis, egal was er designt, hinterher schön. Selbstverständlich hat Smith auch schon Rad-Trikots entworfen. Und zwar für die fünfte Auflage der Tour de Tohoku in Japan.

Fotos: Paul Smith

NEXT