Digitalisierte Ästhetik: Experimentelles Design aus Ton bei Rolf

Erstveröffentlicht in der Frühjahr/Sommer-Ausgabe 2024

Jan Contala und Philipp Schwaderer sind angehende Architekten und Designer. Für die Brillenmacher von Rolf entwickeln sie Programme für den 3D-Druck von Fassungen – und begeistern die Firmenchefs mit ihrer Vision dessen, was moderne Technologie heute möglich macht. Selbst Ton lässt sich drucken und zu Gebrauchs- oder Kunstobjekten verarbeiten.

Das „Ceralab“ liegt im Innsbrucker Stadtteil St. Bartlmä. Hier stellt das Start-up Keramikobjekte im 3D-Druck her. Nur, dass Jan Contala und Philipp Schwaderer Teller, Becher, Kaffeetassen, Lampenschirme oder Vasen nicht an der Töpferscheibe wie bei traditionell handwerklich hergestellter Keramik aufbauen. Das übernimmt eine computergesteuerte und zum Drucker umgebaute CNC-Fräsmaschine, die ihnen von der Brillenschmiede geschenkt wurde. Mit dieser Fräse stellte Rolf einst Fassungen her. Sie legte den Grundstein für eine erstaunliche Kooperation, so Firmengründer Roland Wolf, der für die aufwendige technische Entwicklung der 3D-gedruckten Brillen nach Lösungen suchte, um den Designprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Im 3D-Druck produzierte Rolf-Brillen überzeugen in puncto Nachhaltigkeit, handwerkliche Exzellenz, Innovation und Design.

„Die Jungs sind echte Computerspezialisten. Ihre kreative Energie begeistert uns. Sie haben uns vermittelt, wie fantastisch die 3D-Technologie sein kann“, betont der Firmenchef. Innerhalb kurzer Zeit entwickelten Contala und Schwaderer Programme, welche „die Verknüpfung zwischen Technologie und Design auf ein anderes Level hoben, insbesondere was die Präzision und die Geschwindigkeit betrifft. Sie experimentieren zudem mit dem 3D-Druck von Ton und setzen dafür auch einen Roboter ein. Aus diesem Grund schenkten wir ihnen die CNC-Fräse“, erklärt Roland Wolf. Ihn fasziniere, wie sich das Start-up mit dem 3D-Druck auseinandersetze, wie sie die technischen Möglichkeiten weiterdenken und weiterentwickeln. „Für uns drucken sie heute Vasen, die wir mit unseren Bohnenbrillen an Augenoptikerkunden verschicken, und Tassen, die wir in unserem eigenen Optikergeschäft verkaufen.“ Jan Contala erläutert den Herstellungsprozess der Keramiken: „Ton ist eines der ältesten Baumaterialien der Menschheit. Neu ist, dass sich mit dem keramischen 3D-Drucker eine hohe Filigranität komplexer dreidimensionaler Formen erzielen lässt.“ Keramik in einer neuen Dimension: Die Verarbeitung von Ton mit moderner Digitaltechnologie, das habe ihn und seinen Partner gereizt.

„Wir digitalisieren sozusagen das Handwerk, um die Ästhetik und das Design hervorzuheben.“
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Ästhetische Gebrauchsartikel: Vasen, Lampen, Kaffeetassen aus Ton im 3D-Druck produziert. Designer und Mitbegründer des Kollektivs Ceralab, Jan Contala: „Für mich liegt die Stärke des 3D-Drucks mehr im Herausbilden von Volumen als in der Fläche.“

Zu sehen, wie aus einem der meistverwendeten Materialien des Kunsthandwerks ästhetisch ansprechende und hochwertige Alltagsgegenstände entstehen. Auf einem Tisch stehen große, skulptural anmutende Vasen zum Trocknen. Auffallend ist ihre interessante Facettierung, deren Ähnlichkeit mit natürlichen Oberflächen unverkennbar ist. „Im nächsten Schritt werden sie glasiert und in einem unserer beiden Brennöfen gebrannt.“ Jedes Keramikobjekt werde so zu einem stabilen, langlebigen und nachhaltigen Produkt, erklärt Contala. „Wir digitalisieren sozusagen das Handwerk, um die Ästhetik und das Design hervorzuheben.“ Klassische Designs ließen sich so verändern, aufbrechen, die Materialität und die Oberflächendesigns bis ins Detail akzentuieren. Inzwischen haben die Nerds diverse Standbeine, Contala arbeitet als Dozent an der Uni in Innsbruck, Schwaderer mit dem Rolf-Team an neuen Brillenmodellen. Die Wolf-Brüder, sagen sie, seien schon ein „wenig verrückt, idealistisch, mutig, ebenso aber konsequent in ihrer Vorstellung, was sie mit Innovation erreichen möchten.“

Die ältesten Kunstprodukte aus Keramik sind rund 30.000 Jahre alt. Hochmoderne Verarbeitungsmethoden erweitern die Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten des Materials um ein Vielfaches. Die japanische Raku-Brenntechnik verleiht den Tonobjekten ihren besonderen Glanz.

An der Digitalisierung des Designprozesses jedenfalls haben Contala und Schwaderer einen maßgeblichen Anteil. In Zusammenarbeit mit Johannes Wacker, der im Team der Tiroler für das Design und die technische Umsetzung zuständig ist, tüftelten sie an Lösungen für das Rolf-spezifische Programm. „Es ist wie Malen nach Zahlen“, erklären sie. Nur: Vor dem Programmieren sollte man wissen, wie der Weg und wo das Ziel ist. „Das klassische 3D-Cad-Zeichnen mit Mauszeiger und Klickfunktionen ist nicht mehr zeitgemäß. Formen werden heute in parametrischen Formeln programmiert, die alle wesentlichen technischen Werte für eine Brille berücksichtigen. Müssen Werte angepasst werden, ändere ich lediglich einen Parameter und das System macht ein Update.“

Experimentelle Architektur interessiert die Jungarchitekten. Wie die Biomic Wall, ein 3D-gedruckter Keramikprototyp, der auf die aktuelle Umweltsituation und deren Notwendigkeit reagiert, Architektur und Natur miteinander zu verbinden.

Man müsse nicht die ganze Brille noch einmal neu zeichnen, denn das System merke sich die Geometrie und einzelne technische Parameter in Bezug auf Merkmale wie Brillenbreite, Nasenpads etc. ließen sich individuell verändern, erläutert  Contala. „Man manipuliert die Designs am Original, sämtliche Zwischenschritte werden übersprungen. Das ist extrem schnell und direkt, das digitale Feedback ist viel genauer. Physikalische Prototypen machen wir aber trotzdem, um letzte Feinheiten zu definieren. Der digitale Designprozess ermöglicht, mit einer größeren Gestaltungsfreiheit zu arbeiten, weil die Komplexität aus dem digitalen System kommt und man ganz anders über Formen nachdenken kann. Das schafft eine Ehrlichkeit und Identität des Designs.“

Fotos: Rolf, eco.nova/Kröll, Angela Mrositzki

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