Pop Art? Nein. Plastik!

Plastik prägt unser Leben, unseren Alltag wie kaum ein anderes Material. Kunststoffe stehen für unbeschwerten Konsum und revolutionäre Produktneuerungen. Doch die Folgen des Kunststoff-Booms erfordern ein Umdenken. Eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Wheil am Rhein zeichnete Geschichte, Gegenwart und Zukunft des geliebten und gehassten Materials nach. 

Bereits am Eingang ist Johann Strauss‘ Walzer „An der schönen blauen Donau“ zu hören, der 1867 auf der Weltausstellung in Paris uraufgeführt wurde – gleichzeitig mit der Einführung des ersten halbsynthetischen Kunststoffes Parkesin. Zu Strauss’ Klängen tauchen die Besucherinnen und Besucher im nachtdunklen Raum in die filmische Installation „Kalpa” des Londoner Künstlers Asif Khan ein. Der Begriff aus dem Sanskrit bezieht sich in der hinduistischen und buddhistischen Kosmologie auf ein Erdzeitalter: Den Zeitraum der Erschaffung, Zerstörung und Wiederherstellung der Welt. Khans Videoproduktion ist eine Bilderreise von der Entstehung von Kleinstlebewesen in den Ozeanen der Erde, über ihre Vermehrung und Verwandlung im Meer zu Öl – bis zu dessen Entdeckung 2 Milliarden Jahre später durch den Menschen.

Einwegverpackungen und Pop-Art zum Quetschen wurden im Alltag selbstverständlich. Unzerbrechlich und leicht: Die ersten Quetschflaschen aus weichem Polyethylen kamen Ende der 1940er Jahre auf den Markt.

Teil zwei der Videoinstallation lässt die Allgegenwart von Plastikprodukten und Plastikmüll nahezu physisch erleben und dokumentiert die Gefährdung des Ökosystems der Weltmeere durch Mikroplastik. Der Film zeigt in eindrucksvollen Bildern: Über 200 Millionen Jahre dauerte die Entstehung der fossilen Rohstoffe Kohle und Erdöl, welche die Grundlage aller synthetischen Kunststoffe bilden – in kaum mehr als einem Jahrhundert wurde daraus eines der größten globalen Umweltprobleme unserer Zeit. Zu Beginn der Ausstellung wird die Entwicklung von Naturmaterialien zum Kunststoff dargestellt. Die Vorläufer von Plastik stammten jahrhundertelang aus der natürlichen Umwelt; Naturmaterialien wie Horn, Schellack, Gummi, Guttapercha, Elfenbein und Schildpatt wurden zu Trinkgefäßen, Besteck, zu Kämmen und Knöpfen geformt.

Revolution und Evolution: ArchitektInnen, DesignerInnen und Möbelherstellern bot das Material Kunststoff vielseitige Möglichkeiten, bei der Produktgestaltung mit neuen Formen und kräftigen Farben zu spielen.

Plastik als Material, das den technischen Fortschritt vorantrieb, zeigt ein weiterer Raum: Auf der Suche nach einem neuen Material für Billardkugeln, erfand John Wesley Hyatt in den 1860er Jahren das Zelluloid. Der erste vollsynthetische Kunststoff wurde 1907 von Leo Baekeland entwickelt: das Bakelit. Ab den 1920er Jahren hielt die petrochemische Industrie Einzug und findige Industriedesigner entwickelten die Möglichkeiten des Materials weiter. Auch im Zweiten Weltkrieg kamen Kunststoffe zum Einsatz, wurde Plexiglas für Flugzeugcockpits und Nylon als Material für Fallschirme verarbeitet. Nach 1945 zogen Plastikgeschirr und Tupperware, Spielzeug wie Lego-Bauklötze, Barbiepuppen oder PVC-Beläge in die Haushalte und Kinderstuben ein. Die Raumfahrtfaszination, die Ölkrise der 1970er-Jahre und die immer neuen Produkte der Verpackungsindustrie belegen eindrucksvoll: Plastik stand für die Moderne. Auch im Design, der Architektur, diente Plastik als Konstruktionsmaterial. 1957 errichtete Monsanto in Disneyland ein „House of the Future”, das komplett aus Plastik bestand. Das utopische Potential von Plastik spiegelte sich fortan in futuristischen Formen und neuen Wohnkonzepten wider. Mitte des letzten Jahrhunderts überflutete dann die Plastiktüte die Haushalte – das Wegwerfprodukt par exellence wurde zum Synonym einer bis dato nicht dagewesenen Wegwerfmentalität.

Suaheli-Segeldau aus recyceltem Kunststoffmüll: Für das Projekt „FlipFlopi” wurden 10 Tonnen davon verarbeitet. FlipFlops sind bei Strandsäuberungen in Kenia der meist gefundene Abfall. Die Dau segelt als mobiles Informationszentrum zum Thema Plastikverschmutzung an der Küste Ostafrikas umher

Mit einer Vielzahl von Exponaten liefert die Ausstellung „Plastik. Die Welt neu denken” einen Überblick über die Entwicklung der globalen Kunststoffproduktion. Sie zeigt aber auch die positiven Eigenschaften von Plastik und dokumentiert Ansätze für ein Umdenken und eine neue Wertschätzung von Kunststoff, wie es sie in den Anfängen gegeben hat. Und sie erklärt Projekte wie „The Ocean Clean Up”, „Everwave” und „The Great Bubble Barrier”, die zeigen, wie Plastikabfälle aus Flüssen und Weltmeeren gefiltert werden können. Als ein Beispiel für Ideen und Konzepte, die den gesamten Lebenszyklus eines Produkts berücksichtigen, ist der »Rex Chair« (2011/2021) von Ineke Hans zu sehen, den der Hersteller nach Möglichkeit repariert oder recycelt. Anhand der gewöhnlichen Trinkflasche klärt die Ausstellung darüber auf, wie ein gutes Zusammenspiel von Infrastrukturmaßnahmen – in diesem Fall Pfandsysteme oder Trinkwasserbrunnen – dazu beitragen kann, Produktion und Verbrauch von Einwegplastik zu reduzieren. Recycling-Kreisläufe macht das Projekt „Precious Plastic” des niederländischen Designers Dave Hakkens erlebbar, das zeigt, wie wertvoll und inspirierend recyceltes Plastik als neuer Rohstoff sein kann. Forschung und Designer arbeiten an Materialien, die nicht aus fossilen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und zumeist als Bioplastik bezeichnet werden. Andererseits: Es ist noch viel Luft nach oben, denn diese Zukunftsmaterialien machen bisher nur etwa ein Prozent aus.

Die Folgen des Kunststoff-Booms: Von Mikroplastik im Boden, in den Weltmeeren und in unserem Körper bis hin zu Bergen von Verpackungsmüll, der zum Großteil entsorgt oder verbrannt wird. Neue Kunststoffe, die auf erneuerbaren Ressourcen basieren und biologisch abbaubar sind, bieten die Alternative.

An Projekten mangelt es nicht, viele Ansätze sind in der Erprobung, wie beispielsweise Mikroorganismen, die für die Kunststoffproduktion eingesetzt werden, oder Enzyme für den biologischen Abbau von Plastik. Eine Rückkehr zu Kunststoffen auf Basis organischer Materie sowie Lösungsansätze zur Bewältigung der bisher entstandenen ökologischen Konsequenzen lassen hoffen, verdeutlichen aber auch: Ein Wandel kann nur auf individueller und gesellschaftlicher, auf lokaler und globaler Ebene erfolgen. Ganzheitlich und gemeinsam die Welt neu denken und neu gestalten, wird die große Aufgabe sein.

Nach Wheil am Rhein sind weitere Ausstellungsorte und -termine: V&A Dundee (29.10.2022 – 05.02.2023); maat, Lissabon (Frühling 2023). 

Fotos: Vitra Design Museum, Angela Mrositzki

NEXT