Erstveröffentlicht in der Herbst/Winter-Ausgabe 2024/25
Sie fertigen Brillen aus Naturhorn, größtenteils von Hand. Sie kommen aus der Augenoptik oder sind gelernte Werzeugmacher, Programmierer, Schreiner, auch eine Pferdewirtin arbeitet in der Manufaktur von Hoffmann Natural Eyewear in der Eifel. Sprechen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Einzigartigkeit und Schönheit des Naturmaterials, geraten sie ins Schwärmen.
Naturhorn-Brillen: Das Original. Aus der Eifel.
Als Josef Hoffmann Ende der 1970er Jahre entscheidet, Brillen aus Naturhorn zu fertigen, war dies die Geburt der Brillenmarke Hoffmann Natural Eyewear. Im Jahr 2000 haben Jutta Kahlbetzer und Wolfgang Thelen die Manufaktur unter der Firma IVKO übernommen.
Vom ersten Designentwurf bis zur vollendeten Fassung erfolgt seitdem jeder Arbeitsschritt in der Manufaktur im Eifelstädtchen Kelberg. „Horn lebt durch seine feine Struktur, die erst durch mehrere Fräs- und Schleifvorgänge mittels Maschinen und die Aufarbeitung von Hand zur vollen Geltung kommt“, erklärt Wolfgang Thelen bei unserem Besuch in der Manufaktur die Besonderheiten des hochwertigen Materials. Er zeigt ein Horn von imposanter Größe. „Die Hörner des asiatischen Wasserbüffels können bis zu zwei Meter lang werden. Für die Herstellung von Hornbrillen eignet sich am besten reifes Horn, das ganz natürlich über einen langen Zeitraum gewachsen ist.“
Jutta Kahlbetzer und Wolfgang Thelen investieren viel Zeit und Engagement in die Schulung und Qualifikation ihrer Beschäftigten, damit am Ende jede Brille zu einem handwerklichen Kunstwerk wird. „Eine Hornbrille verleiht ein Höchstmaß an Individualität. Unsere Kunden schätzen ihren Unikatcharakter, den Aufwand und die Liebe zum Detail hinter jeder Brille. So wie das Horn viele Jahre reifen muss, nehmen wir uns viel Zeit, um daraus schöne Brillen zu bauen. Diese Zeit ist der wahre Luxus hinter jeder Hornfassung aus den Händen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, betonen Kahlbetzer und Thelen unisono.
MARCO, Experte der Hornplatten: In der Manufaktur treffen wir Marco. Fünfzehn Jahre schon gehört der gelernte Schreiner dem Unternehmen an, „eine gefühlte Ewigkeit“, lächelt er. „Anfangs konnte ich mir unter einer Hornplatte nicht wirklich etwas vorstellen.“ Learning by doing: Während der Einarbeitung durchlief er interne Schulungen, kennt heute das Material und Verarbeitungstechniken wie das Fräsen mit dem Pantografen und den Schleifprozess aus dem Effeff. „Die manuelle Arbeit erfordert Feingefühl. Es ist sehr, sehr viel Handarbeit an der Brille, denn wir produzieren hier kein Massenprodukt.“ Marco hält eine hauchdünne Hornplatte vor das Licht, prüft Maserung, Struktur, Farben und Tonverläufe. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Platten farblich zusammenzustellen und die Form der Mittelteile zu fräsen, bevor sie sorgfältig miteinander verleimt werden. Mit geübtem Auge erkennt er feinste Unterschiede, entscheidet welche Plattenkombination das gewünschte Ergebnis erzielt. „Jede Platte, die ich schleife, ist anders.“ Die Ästhetik der Hornbrille liegt für Marco in der Wärme, der Haptik des Materials. Viele Hornbrillen, auch für bekannte Persönlichkeiten, sind durch seine Hände gegangen „sogar für Elton John, der ein Brillenliebhaber ist. Das war eine große, auffällige Hornfassung.“ Seine persönlichen Favoriten sind die eher leichten, filigranen Fassungen. Die trägt er selbst gern, sagt Marco, der stolz darauf ist, dass die Brillen aus der Eifel kommen, „einhundert Prozent made in Germany!“
SARAH, rigorose Qualitätskontrolle: Augenoptikgesellin Sarah ist, mit einer Unterbrechung, seit zwei Jahrzehnten für den Hornbrillenhersteller tätig „Ich bin in der Eifel geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen, absolvierte hier meine Ausbildung.“ Nach zehn Jahren im Kelberger-Team wollte sie „einfach mal raus, die Welt erkunden. Ich habe mich allerdings nur bis nach Koblenz getraut“, lacht Sarah. Dort sammelte sie im Verkauf eines Optikfachgeschäftes Erfahrung, kehrte aber mit der Corona-Pandemie in die Eifel zurück. Jetzt, als „augenoptische Allrounderin“, ist sie besonders für die Qualitätskontrolle qualifiziert. „Bevor ich ging, reichten einhundert Prozent, in dem was man tat. Seit ich zurück bin, müssen es hundertzwanzig Prozent sein!“ In der Hornbrillenfertigung brauche es Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge für oft kaum sichtbare Details, erklärt sie diese hundertzwanzig Prozent. Ihre Fingerfertigkeit sei ihre Stärke: „Minimalste Unvollkommenheiten etwa in der Politur oder eine winzige Delle in der Hornbrille muss ich korrigieren.“ Das Sehen mit Argusaugen müsse man lernen, betont Sarah. Ihre Brillen bei einem Augenoptiker im Laden zu entdecken, sei etwas besonderes. „Es macht Freude zu sehen, wenn unsere Hornbrillen wertig präsentiert werden. Sie sind so fein verarbeitet, so exakt und in einer großen Formen- und Farbenvielfalt, das beeindruckt die Kunden.“
NADJA, Feinarbeit und Endmontage: Ein geübtes Auge und eine ruhige Hand hat auch Nadja. In der Endmontage fügt sie Hornfronten oder -bügeln schmückende Elemente wie Metalldekore hinzu, lackiert und befestigt Markenlogos oder dekorative Embleme in vorgefrästen Vertiefungen. Auch in der Politur wird sie eingesetzt. „Der letzte Schritt ist die Ausrichtung jeder Fassung, die schön gerade sitzen muss. Die Bügel müssen sich leicht und flüssig öffnen und schließen.“ Doch wie kam die ausgebildete Pferdewirtin und erklärte Pferdeliebhaberin zur Brille? „Ich bin aus Deutschlands Norden hierher gezogen und suchte einen Job. Eine Freundin hat mich vermittelt. Ich finde meine Aufgaben hier spannend und kreativ, denn wie bei der Arbeit mit Pferden hat auch die Feinarbeit an einer Hornbrille eine Menge mit Feinmotorik, mit sehr dosierten, kontrollierten Handgriffen zu tun. Mit Kraft und Gewalt erreicht man gar nichts.“ Jede Brille ginge bei ihnen durch unzählige Hände, „und erst wenn sie perfekt ist, geht sie raus.“ Ob sie eine Vorstellung vom Typus Hornbrillenträgerin- oder träger habe? „Ich stelle mir vor, dass sie ein wenig auffallen möchten, dass sie ein bestimmtes Design, eine bestimmte Farbe oder ein Muster suchen. Vielleicht auch, dass sie einen Bezug zur Natur haben und einen Anspruch an Produkte in puncto Nachhaltigkeit.“
RAINER, Mann der Technik: Rainer ist mit moderner Technik aus seiner Tätigkeit in der Automobilindustrie vertraut. In der Hornbrillenproduktion kommt ihm dies zu Gute, denn neben dem traditionellem Handwerk sind hochleistungsfähige Computertechnologien im Einsatz, wie die CNC-Fräse (Computerized Numerical Control), an der Brillengestelle und Brillenbügel vorgeformt werden. „Gelernt habe ich Gärtner“, erzählt Rainer schmunzelnd. Beim Eifeler Brillenhersteller arbeite er seit 2021, die Tätigkeit, die er hier ausübe, erfülle ihn sehr, sagt er. Rainer legt einen Hornbrillenrohling direkt aus der Fräsmaschine auf den Tisch, „der natürlich erst durch die handwerkliche Nachbearbeitung zu einer vollendeten Hornbrille wird. Früher wie auch heute noch wird mechanisch mit einem Pantograf gefräst. Für komplexere Details wird die CNC-Maschine eingesetzt. “ Die technischen Herausforderungen in der Herstellung einer Hornbrille kennt er inzwischen. „Man muss auf viele Details achten, damit das Horn keine Risse bekommt, nicht bricht, die Fasern nicht aufreißen, die Farben richtig zusammenstehen.“ Das Material Horn sei ein Stück Natur, sagt Rainer. Womit er, in gewisser Weise, sich seinem Beruf als Gärtner wieder ein Stückchen angenähert hat.
EVA, kreative Allrounderin: Mit nur zweieinhalb Jahren Zugehörigkeit gehört Eva zu den Youngstern in der Manufaktur. „Ich kannte das Unternehmen aus meiner Zeit der Ausbildung zur Augenoptikerin.“ Nach der Meisterausbildung und ersten Joberfahrungen als Fachausbilderin in der Augenoptik wurde ihr klar: „Ich mag es, handwerklich zu arbeiten – da finden sich nicht viele Branchen, in denen das möglich ist. Auch wollte ich zurück in meine Heimat.“ Ihr jetziges Tätigkeitsfeld entspricht ganz ihren Vorstellungen: „Ich mache oft Sonderanfertigungen, auch Nachbauten von Hornbrillen nach individuellen Kundenwünschen, ebenso wie Montage- und Schleifarbeiten.“ Ihr Herzenswunsch sei es, Brillen per Hand zu fertigen. „Meine erste handwerklich hergestellte Brille entstand während meiner Lehre. Ich war Kammersiegerin und bekam eine Ausbildung im Brillenbau.“ Ein zweiter Herzenswunsch ist das Gestalten von Brillen: „Zuletzt wurden zwei meiner Entwürfe ausgewählt.“ Was sie am Material Horn fasziniert? „Jede Fassung ist ein Einzelstück im Gesicht der Brillenkunden. Ich mag vor allem die Kombination aus Horn und Seideneinlagen. Spezielle Einfärbungen ermöglichen ein vollkommen anderes Erscheinungsbild, was dem Wunsch vieler Menschen nach Individualität entspricht.“ Ihr Highlight-Modell? „Die extrovertierten Horn-Extreme-Modelle, die durch ihre starken Farben auffallen!“
THOMAS, fügt das große Ganze zusammen: Der Rundgang mit Wolfgang Thelen durch die Manufaktur dauert gut zwei Stunden. Immer wieder kommt er auf die Wertigkeit der Hornbrille zu sprechen. „Naturhorn gehört zu den ältesten und bewährtesten Werkstoffen für Brillen der Welt. Die Herstellung jeder einzelnen Fassung dauert – es sind keine Brillen von der Stange. Auch hier spielt der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle.“ Eine ebenso wichtige Rolle kommt ihrem Standort im Eifelstädtchen Kelberg zu. Über vier Jahrzehnte sei hier ein Know-how in der Hornbrillenherstellung von unschätzbarem Wert zusammengekommen, betont Thelen.
„Wir haben den Vorteil einer sehr geringen Fluktuation, können so Wissen und Fertigkeiten in der Firma erhalten und weitergeben.“ Wer einmal weggegangen ist, käme nicht selten zurück, weil die Lebensqualität gut sei, sagt Jutta Kahlbetzer. „Früher war es eine arme ländliche Gegend, heute ist die Eifel cool. Der Lifestyle hat was, Frankreich, Luxemburg, Holland liegen vor der Tür.“ Dass ihre Hornbrillen von dieser kleinen „glücklichen Insel“ in der Eifel hinaus in die Welt gehen, erfüllt auch Jutta Kahlbetzer und Wolfgang Thelen mit Stolz.
Fotos: Hoffmann Natural Eyewear, Benjamin Brockhagen
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