Minamoto-Brillen verbinden japanische Handwerkskunst und Kultur

Erstveröffentlichung in der Frühjahr/Sommer-Ausgabe 2024

Ein junges Paar versunken in inniger Umarmung. Das Erleben des Augenblicks ist ein zentrales Element des Zen-Buddhismus, sagt Hajime Hori. Er entwickelt die Kollektion Minamoto, die für eine Jahrhunderte alte japanische Handwerkskunst und die tiefe Beziehung der Japaner zu ihren kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Traditionen und Werten steht.

Die Stadt Sabae in der Präfektur Fukui ist umgeben von Natur, die Berge und das japanische Meer liegen nur knapp zwei Autostunden entfernt. Traditionell finden die Menschen Beschäftigung im Reisanbau und in der Produktion von Seidenstoffen. Ein wichtiger Industriezweig ist die Brillenherstellung und Charmant eines der international bedeutenden Unternehmen.

In der Firmenzentrale arbeitet Hajime Hori als Produktentwickler an der Kollektion Minamoto. Der studierte Maschinenbauer sammelte über Jahre hinweg Erfahrungen in Planung, Design und Produktion, heute koordiniert er alle Bereiche des Herstellungsprozesses. Japan und Europa sind die beiden Pole in seinem Leben, längere Zeit verbrachte er für Charmant in Paris und München. Mit dem Pendeln zwischen den Welten lebt er die Verschiedenheit der Kulturen, der Denkweisen und gewinnt wertvolle Erkenntnisse für die Besonderheiten des Brillendesigns.

„Brillen sind Lieblingsstücke, die wir im Herzen tragen.“

Titan-Fassung im Close-Up

Brillen für eine kleine Ewigkeit: Obwohl äußerst filigran, sind Minamoto-Fassungen langlebig. Ihre positiven Eigenschaften gewährleistet das hochwertige japanische Titan als ideales Material für Rahmen und Bügel.

Hajime Hori, Sabae ist Ihre Heimat und eng mit der Brille verbunden?

Für mich ist die Stadt Sabae in allererster Linie mein „Herzensort“. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts suchten die Menschen in dieser ländlichen Gegend in langen und harten Wintern nach einer Beschäftigung. So kamen wir zur Brille. Unsere Region Fukui ist zudem bekannt für ihre Lackund die Schmiedekunst, sowie die Herstellung von Washi-Papier und Töpferwaren. Traditionelle Handwerkskünste sind in Japan überall zu finden, aber in Sabae gibt es eine unglaubliche Konzentration.

War die Verschiedenheit der Lebensstile zwischen Japanern und Europäern eine Herausforderung für Sie? 

Ohne das Verständnis für eine fremde Kultur ist gesellschaftliche Integration fast unmöglich. In Paris und München wurden mir die Unterschiede gerade im Alltäglichen bewusst. Manches erscheint einem Japaner zunächst seltsam und fremd (lacht!). So begrüßten mich Kolleginnen und Kollegen immer mit einem lächelnden „Hallo!“, selbst wer mich gar nicht kannte. In Japan ist eine Begrüßung formaler. In meiner Arbeit lerne ich deshalb, Brücken zu bauen, sehe mich als kulturellen Dolmetscher zwischen diesen Welten und kann hoffentlich zu einer guten Zusammenarbeit beitragen.

„Ich liebe meine Heimatstadt, den Geburtsort der japanischen Brillenmarke Minamoto. Die Menschen sollen wissen, wie wunderbar Brillen aus Sabae sind.“

Gibt es auch Unterschiede beim Brille-tragen? 

Japaner tragen Kleidung, auch Brillen, wie eine zweite Haut. Sie sprechen von ihrem Gefühl „in die Haut zu passen“. Es artikuliert eine Empfindung, die mehr sagt als „etwas steht mir, etwas passt zu mir“. Bezogen auf die Brille ist die Beziehung zwischen dem Gesicht der Trägerin, des Trägers und der Brille gemeint: Für uns ist die Brille Teil des Gesichts. Brillen aber müssen nicht nur schön sein, sie haben auch eine Funktion. Schon ein kleiner Unterschied in der Dicke oder Rundheit des Bügels verändert das Tragegefühl. Es ist spannend, dieses feine Gleichgewicht zwischen Schönheit und gutem Tragegefühl zu finden.

Japanische Kultur und Traditionen: Welche Werte und Rituale sind Ihnen besonders wichtig? 

Europäer schmunzeln jetzt vermutlich: Um das neue Jahr zu begrüßen, werden Ende Dezember die Häuser geputzt. Ob Kälte oder Schnee, es hält niemanden davon ab, die Fenster zu öffnen und innen und außen alles blitzsauber zu fegen und zu wischen. Am 31. Dezember um Mitternacht läutet die „Glocke“ der Purifikation im nahen Tempel als Ausdruck unserer Dankbarkeit für ein Jahr, das zu Ende geht. So beginnt das neue Jahr mit einem guten Gefühl. Im Buddhismus gibt es die Vorstellung der Reinkarnation, die besagt, dass wir nach dem Tod in einem anderen Leben wiedergeboren werden. Ich meine, dass diese Tradition zur Begrüßung des neuen Jahres eine kleine Version dieser Idee ist. Für den Neuanfang 2024 habe ich wieder Fenster in der Kälte gewischt (lächelt!).

Portrait Haijme Hori

„Ai-chaku“: Japanisches Gefühl in Brillen übersetzt. Hajime Hori sieht in der Kollektion Minamoto Traditionen und soziale Werte sowie die Ästhetik japanischer Kultur verkörpert.

Welche Persönlichkeit steckt in Hajime Hori? 

Ich denke viel nach, bin wissensdurstig, möchte Ursachen und Folgen und die Auswirkungen einer Sache verstehen. Als Kind spielte ich mit Spielzeugrobotern, nahm sie auseinander und baute sie wieder zusammen. Wahrscheinlich versuchte ich schon damals, ihre Struktur theoretisch zu verstehen.

Wie erhalten sich japanische Wurzeln und Werte in einer globalisierten Welt? 

Durch den sorgsamen Umgang mit unserer Geschichte, unseren Traditionen und Bräuchen. Es gehört zur japanischen Mentalität, die tief in mir verwurzelt ist. Ich habe gelernt, für Nahrung dankbar zu sein und kein Essen zu vergeuden. Seit meiner Kindheit stellt der Reisanbau einen Nebenerwerb meiner Familie dar. Reis ist unser Grundnahrungsmittel und im kollektiven Bewusstsein etwas ganz Besonderes. Mir wurde beigebracht, dass in jedem Reiskorn drei Gottheiten leben, laut meinen Eltern Sonne, Erde und Wasser. Sie würden mich strafen, würde ich den Reis schlecht behandeln. Dies gilt auch für Dinge wie Kleidung oder Werkzeuge, also leblose Materie. Japaner bezeichnen es mit dem Begriff „Mottainai“, er lehrt uns eine achtsame, verantwortungsbewusste Haltung im Umgang mit unseren Ressourcen. Ich habe den Reisanbau übrigens von meinen Eltern übernommen, wir haben einen kleinen Betrieb. Ich leite das Management, meine Familie hilft, die Maschinen zu bedienen und die schweren Arbeiten zu erledigen. Im September 2022 verstarb mein Vater. Er war ein großartiger Stuckateur. „Gute Vorbereitung erledigt die Arbeit zu 80 Prozent“, war er überzeugt. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, eines seiner Werke, eine Teestube, zu sehen. Ich konnte sein handwerkliches Geschick und seinen Sinn für Design spüren. Ich hatte das Gefühl, bei ihm zu sein, er lächelte und sagte: „Viel Spaß bei deiner Arbeit, mein Sohn!“

Verschiedene Fassungen

Minamoto-Brillen sind durch und durch japanisch …?

Ja, denn die Grundlage sind die japanische Handwerkskunst in Verbindung mit moderner Technologie zur Herstellung von Titanfassungen. In den frühen 1900er Jahren wurden Fassungen noch komplett von Hand gefertigt. Es durfte kein Material verschwendet werden, das führte zu großem Erfindungsreichtum in der Herstellung. Auch hier kommt der Zen-Gedanke ins Spiel. Minamoto-Brillen zeichnen sich durch detaillierte Muster und feine Farben aus, Dekoration ist zurückhaltend nur auf der Oberfläche. In der Vergangenheit wurden die Dekore von erfahrenen Handwerkern ausgeführt, heute maschinell, aber als eine Hommage an traditionelles Know-how sind sie uns wichtig.

Womit beschäftigen Sie sich, wenn Sie nicht Brillen denken und entwickeln?

Ich liebe es zu kochen, Menüs zu kreieren, die Zutaten vorzubereiten. Jeder Schritt des Kochvorgangs schärft meine Sinne. Und was mich danach erwartet, sind die lächelnden Gesichter meiner Gäste! Ein großartiger Moment, Glück zu teilen. Zu viele Kalorien gleiche ich durch Joggen aus. Das ist ein kreativer Moment, in dem ich mich mit meinem Körper auseinandersetze.

Model mit dezenter Fassung

Zeitlose Schönheit. Minimalistisches Design. Fassungen, die jenseits aller Modetrends die Zeit überdauern und mit besonderen High-Tech- Features und filigranen Details, wie den eingravierten Verzierungen auf schlanken Bügeln, beeindrucken.

Sie erwähnten gerade ein Gefühl, das Japaner „ai-chaku“ nennen. Was ist damit gemeint? 

Die Liebe und Zuneigung zu Dingen. „Ai-chaku“ spüren alle Menschen – früher wie heute. In unser schnelllebigen Konsumwelt sind es vielleicht nicht mehr viele Dinge, die uns ein Leben lang begleiten. Doch sie sind überall um uns herum. Wir möchten, das Brillenträgerinnen und Brillenträger sich daran erinnern, indem sie ihre Fassung lieben und pflegen. Dies ist das Bewusstsein und die Philosophie von Minamoto. Ich träume davon, dass eines Tages Menschen auf der ganzen Welt erkennen, dass sie mit einer Minamoto-Brille „ai-chaku“ erleben können.

Fotos: Charmant