„Design-Talk“ in der Louis Vuitton Stiftung

Erstveröffentlicht in der Herbst/Winter-Ausgabe 2023/24

Architektur, Kunst und Mode inspirieren die Arbeit des Pariser Kreativteams der Design Eyewear Group. Sublime Eyewear besuchte das Pariser Kreativteam in der Louis Vuitton Stiftung.

Savoir-vivre! Pariser Lebensart, das ist lebendige Gegenwart und große Geschichte, Museen mit Meisterwerken aus Jahrtausenden neben junger Streetart, historische neben moderner Architektur. Vor allem aber ist Paris stets am Puls der Zeit in Kultur, Kunst und Mode. Die Design Eyewear Group, zu deren DNA ein starkes Design zählt, zieht daraus wertvolle Anregungen. Neben dem Hauptsitz im dänischen Aarhus sowie Büros in London und Paris, wurde in der Seine-Stadt in diesem Jahr der erste Concept-Store eröffnet: Eine Boutique für Sonnenbrillendesigns aus dem firmeneigenen Portfolio als Einladung an Brillenträgerinnen und Brillenträger, Beratung, Auswahl und Kauf in einem ästhetischen Ambiente zu erleben. Die Besonderheit: Im Stockwerk über dem Showroom entwirft das Pariser Kreativteam die Brillendesigns der Linien Face à Face, Woow und Alium. Rechtzeitig zur Eröffnung haben Claire Ferreira, Marianne Dèzes und Arnaud Pommier, ihren neuen Arbeitsplatz in der Rue Pernelle eingerichtet.

Arbeiten im Team: Marianne Dèzes, Arnaud Pommier und Claire Ferreira. Das architektonisch mutige Gebäude der Louis Vuitton Foundation regt sie zu neuen Designlösungen an.

Nur wenige Gehminuten entfernt liegt die staatliche Kulturfabrik, das Centre Pompidou und jede Menge Galerien. Für unseren „Designspaziergang“ aber fällt ihre Wahl auf die Fondation Louis Vuitton am Rande des Jardin d’Acclimatation im Bois de Boulogne. Mit der Metro geht es bis zur U-Bahn-Station Les Sablons im Nordwesten der Stadt. Nach einem kurzen Spaziergang erhebt sich aus der Ferne die Schiffssegeln ähnelnde Konstruktion aus Stahl, Holz und Glas des Architekten Frank Gehry. Der Kern des Bauwerks, auch „Eisberg“ genannt, wird von zwölf gekrümmten, gläsernen „Segeln“ umhüllt, die eine dynamische Raumwirkung schaffen. Die Leichtigkeit der imposanten Struktur, das Spiel des Lichts und der Linien, beeindruckt. Es sei, so das Designteam, eine der wunderbaren Kunstund Kulturoasen der Metropole Paris. Claire Ferreira: „In der Stadt lebt man wie in einer großen Blase. In Museen, in den Parkanlagen und Gärten oder einem Open Space wie diesem können wir durchatmen und unsere Gedanken auffrischen. Für uns ist es ein Schlüssel, um kreativ zu sein.“

„Wir lassen uns von vielen Eindrücken und vom Pariser Savoir-vivre inspirieren und versuchen, dies in ausdrucksstarken, kontrastreichen, mal subtileren, mal magischen Brillendesign zu interpretieren.“

Mittlerweile stehen wir im Foyer. Ferreira deutet auf ein Riesenbild: „Basquiat x Warhol. Painting four Hands“ (dt. „Malerei mit vier Händen“) lautet der Titel der aktuellen Ausstellung, die den Künstlern Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol gewidmet ist. Ihre Zusammenarbeit habe mehr über die Malerei als über Worte stattgefunden, deuteten Freunde die rund 160 Gemälde „à quatre mains“, die zwischen 1984 und 1985 entstanden sind.

Die Brillendesigner sehen in dem Duo Basquiat und Warhol ein gutes Beispiel dafür, dass künstlerische Kooperationen interessante Ergebnisse hervorbringen können. Ferreira: „Auf die gleiche Weise arbeiten Marianne und ich vierhändig an all unseren Projekten, den Themen, der Geschichte einer Kollektion, den Produkten!“ Das Duo lässt sich von vielfältigen Eindrücken inspirieren, die sie in ihrer Eyewear interpretieren. Mode, Ausstellungen, Impressionen von der Straße, jeder verarbeitet sie auf seine persönliche Art und Weise, bringt zunächst seine Ideen zu Papier. Ihre Brillendesigns aber entstehen im kollektiven Schaffensprozess, denn erst im Kollektiv ließe sich viel gestalterische, produktive Energie freisetzen, die man in der Folge im Team analysiere. „Wichtig ist, dass wir unsere Entwürfe immer wieder aus der Vogelperspektive, aus der Distanz betrachten.“ Schlussendlich sei es nicht entscheidend, wer was zum Ergebnis beigetragen habe, fügt Marianne Dèzes hinzu. „Claire und ich tauschen uns sehr viel aus. Und obwohl wir unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen haben, finden wir immer eine gemeinsame Intuition, einen roten Faden. Unser Modellbauer Arnaud setzt unsere Ideen um. Er ermöglicht uns auch, mit dem Unerwarteten, dem Zufall zu spielen.“ Arnaud Pommier sei ihr Joker, bekräftigen sie. Sein technisches Wissen und handwerkliches Können sei ein gutes Fundament. Ein Studium in Kunst und Kunsthandwerk, seine Erfahrungen in der Innenarchitektur, im Modellbau führten Pommier zur Brille. Seit über zwei Jahrzehnten kümmert er sich um die technischen Innovationen und fertigt die Modellmuster für die Kollektionen zunächst von Face à Face, inzwischen auch für Woow und Alium.

Sie sind ein eingespieltes Team. Wenn sie versuchen, Dritten ihre Arbeit zu erklären, ist das keine einfache Sache, so Marianne Dèzes. „Mancher denkt, die Brille sei ein einfaches, seriell hergestelltes Produkt. Wir aber verstehen Brillendesign ganz anders. Je tiefer man vordringt, umso mehr öffnet sich ein Universum mit unendlichen Optionen. Wichtig ist eben nicht nur die Funktion der Brille, sondern auch ihre Ästhetik. Uns interessiert, das künstlerische Universum auszuloten, welches die Gestaltung von Brillen bietet, zu experimentieren, zu sehen, welche Wahrnehmung und Wirkung unsere Produkte beim Endverbraucher erzeugen.“ Intuition, Spontaneität neben konzeptionellen Ansätzen: Worin liegt die Stärke ihrer Designs? Claire Ferreira: „In der Vielzahl der Inspirationen, die sich kreuzen und die einander beeinflussen. Ob Ideen aus der Kunst, der Gestaltung von Alltagsobjekten, die Verbindung zu industriellen Fertigungsprozessen, ob Grafik, Mode oder Storytelling – unsere Brillendesigns ordnen wir keinen Kategorien zu. Jede Idee kann eine unvorhersehbare andere Richtung und Ausprägung nehmen.“

Claire Ferreiras studierte in Paris zunächst angewandte Kunst, am Royal College of Art in London spezialisierte sie sich auf Produktdesign. Zu ihren Interessen gehören Mode, Architektur und Grafikdesign. „Wenn ich mich richtig erinnere, wollte ich schon mit zehn Jahren Designerin werden“, lächelt Marianne Dèzes. Ein Wunsch, den sie sich eineinhalb Jahrzehnte später mit ihrem Studium erfüllte. Ob emotional-künstlerisch oder pragmatisch-analytisch, sie arbeiten zusammen, insbesondere wenn es um den konzeptionellen roten Faden, die Ausgewogenheit der Formen und Farben jeder Kollektion geht. „Unsere Charaktere ergänzen sich. Die Kunst stellte üblicherweise zwei Anschauungen gegenüber: Apollon, die Gottheit des Lichts und der Klarheit, und Dionysos, die Gottheit des Rausches, eines enthusiastischen Hochgefühls. Karikaturistisch könnte man sagen, dass Claire das erste und ich das zweite Element in unsere kreative Arbeit einbringen!“, schmunzelt Dèzes – und meint es doch ernst, denn erst die Balance ihrer kreativen Temperamente führe zum Ergebnis.

Freies Spiel der Fantasie: Face à Face steht für ungewöhnliche, überraschende Farbkombinationen. Ikonische, exklusive Farbpaletten werden eigens für das französische Brand entwickelt.

Zum Abschluss sprechen wir über die Bedeutung der Farbe in ihrem Brillendesign. Marianne Dèzes ist in ihrem Element, zeigt Fassungen, erklärt Details: „Farbspiele verändern die Wahrnehmung der Form, sogar der Größe einer Brille. Es ist wie bei einem Gemälde, man muss den Gehalt der Farbe genau bestimmen. Deshalb arbeiten wir mit Farbkonzepten, experimentieren auch gern beim Kolorit und der Farbmischung. Natürlich berücksichtigen wir auch Farben, von denen wir wissen, dass sie sich gut verkaufen lassen. Darüber hinaus holen wir uns Anregungen von Modenschauen, Schmuck- und Accessoiremessen, schauen auf Schnitte, Silhouetten und Trendfarben.“ Claire Ferreira legt erste Skizzen für Neuentwicklungen der kommenden Kollektion von Face à Face auf den Tisch. Deren Farbdesign ist besonders ausdrucksstark, kontrastreich, mal subtiler, mal magisch. Im Team sind sie sich einig: „Wir haben in der Tat ein sehr französisches Farbempfinden, wir mögen es dramatisch!“

Fotos: Angela Mrostzki