Erstveröffentlicht in der Frühjahr/Sommer-Ausgabe 2024
Wenige Gramm Nylonpulver bleiben von der Herstellung einer Brille im 3D-Druck übrig. Materialreste, die der Schweizer Künstler, Designer und Materialforscher Fabio Hendry für den Brillenhersteller Götti zu ästhetisch kunstvollen Objekten verarbeitet: Leuchten und Skulpturen in geschwungenen, freien Formen. Schön anzuschauen und nachhaltig produziert.
Wir besuchen Fabio Hendry in seinem Designstudio Hot Wire Extensions am Stadtrand von Zürich. Er begrüßt uns in T-Shirt und Arbeitshose, er bereite gerade eine Skulptur vor, erklärt Hendry. Für Brillendesigner Sven Götti ist es der erste Besuch in dem Atelier, in dem die Kunstobjekte für seine Brand entstehen. Die Kooperation zwischen dem Materialdesigner und dem Pionierunternehmen in der 3D-Druck-Herstellung von Brillen ist eine glückliche Fügung. Hendry, der aus dem Bergdorf Sedrun im Kanton Graubünden stammt, ging im Anschluss an seine Ausbildung zum Tiefbauzeichner und nach einem Bachelorabschluss in der Fachrichtung Style & Design an der Zürcher Hochschule der Künste zunächst nach London.
Nach einem Master in Produktdesign am Royal College of Art kehrte er nach Zürich zurück. „Schon während meines Masterstudiums entdeckte ich den innovativen Einsatz des 3D-Drucks bei der Brillenherstellung der Götti-Fassungen.“ Diese entstehen in einem Lasersinter-Verfahren in der Manufaktur am Firmensitz in Wädenswil. „Das Ausgangsmaterial unserer Kollektion Dimension ist ein feines Polyamidpulver, das trotz einer ressourcenschonenden Produktion eine Restmenge an Pulver übrig lässt. Nach mehrfacher Anwendung genügt dieses nicht mehr unseren Qualitätsanforderungen für einen weiteren Druckprozess. Aus diesem Grund war unser Forschungs- und Entwicklungsteam auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie sich das Material wiederverwerten lässt. Uns gefiel die Idee, aus den Resten des Polyamidpulvers schöne Objekte herzustellen. Sehr schnell war klar, dass Hendrys künstlerische Designobjekte gut zur Brand Götti passen, weil sich unsere Vorstellungen von Ästhetik decken.“
Mit Hendry hat das Unternehmen nun einen dankbaren Abnehmer gefunden, denn so erklärt der Künstler „kleine Designstudios wie ich haben oft keinen Zugang zu Materialien oder können sich diese schlicht nicht leisten. Da das überschüssige Nylonpulver, das säckeweise anfällt, lokal weiterverarbeitet werden kann, ist es ein Idealfall.“ Zumal es sich perfekt in die lokale Produktion und nachhaltige Kreislaufstrategie der Brillenschmiede aus Wädenswil füge, ergänzt der Materialdesigner, dessen Objekte in Galerien, sowie im Schweizerischen Landesmuseum und im Museum für Gestaltung in Zürich ausgestellt sind. „Für mich ist es wichtig, dass meine Arbeit die Fragen und Anliegen unserer Zeit anspricht, und diese drehen sich heute natürlich unter anderem um Aspekte wie Ressourcenschonung, Produktion und Umwelt.“
Wir gehen in einen Nebenraum, in dem eine einfache Holzkiste steht, in der gerade ein neues Objekt entsteht. „Jede Form wird aus einem Nickel-Chrom-Draht gebogen und in diesen Behälter gelegt, dessen Innenraum mit einem Gemisch aus Sand und Polyamidpulver aufgefüllt ist. Tatsächlich bestehen die Formen zu siebzig Prozent aus Sand, das Nylonpulver dient als Bindematerial. Die Sandkörner müssen gut gesiebt und vollkommen staubfrei sein. Durch den Draht wird elektrischer Strom geschickt, wodurch das umgebende Material schmilzt und eine organische, knochenartige Struktur um die Drahtform herum entsteht“, erklärt Hendry den Prozess. „In meinen Projekten geht es oft darum, bekannte und unbekannte Materialien in einen neuen Kontext zu setzen und alternative Nutzungen zu erforschen. Mich interessiert das Gleichgewicht zwischen vom Menschen Geschaffenem und Natürlichem, indem ich Objekte schaffe, die sowohl technologisch als auch natürlich und naturnah sind.“ Von ersten Ideenskizzen über technische Zeichnungen mit Maßen und Biegeformen, die er am Computer generiert, bis hin zu einzelnen Prototypen und schlussendlich zum fertigen Produkt ist es ein Verfahren mit etlichen Unwägbarkeiten, erklärt der Designer. Nicht jedes Ergebnis sei perfekt. Große Leuchten oder Möbelstücke sind zumeist Unikate, kleinere Lampenformen lassen sich in Serien produzieren. Alle Objekte zeichnen sich durch ihre ganz eigene Designsprache aus. „Auch die Farbe kommt aus dem Sand, es werden keine Pigmente verwendet. Ich mag die Naturfarben, die sich auch in den Fassungen der Dimension-Kollektion wiederfinden.“
Ob Brillen oder Kunstobjekt: Die Modernität des Materials und der 3D-Druck-Technik käme vor allem bei technikaffinen Menschen sehr gut an, bestätigt der Brillendesigner. „Ich finde den Werkstoff unglaublich cool – obwohl die Brillen wohl eher eine maskuline Haptik haben. Inzwischen aber sind die Fassungen so fein, dass sich auch extrem schöne Damenbrillen herstellen lassen“, erklärt Götti. Ihm gefällt die Idee, seine Brillen im Umfeld von Kunstobjekten zu präsentieren, aus einem Material, dem ein zweites Leben geschenkt wird. „Das ist eine schöne Geschichte“, stimmen Hendry und Götti überein.
„Dank Götti weiß ich, dass Brillen nicht nur ein Statement sind, sondern auch das Material hervorheben, das so zentral für meine Arbeit ist.“
Fotos: Angela Mrositzki; Götti
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