Martin Lehmann hat vor allem eines im Blick: schöne, tragbare Fassungen für authentische Brillen-Connaisseure zu entwerfen. Mit seinem Brand Martin & Martin gehört er zu den innovativen deutschen Independent-Labeln.
Seine Firma liegt in der Kyffhäuser Straße. In diesem Viertel der Kölner Innenstadt tummeln sich nächtens die Studenten beim Bar- und Kneipen-Hopping. Tagsüber ginge es ruhiger zu, lächelt Martin Lehmann, während er die Espressomaschine anschmeisst. Durch den Hinterhof geht es zu den Büroräumen, vorn im Ladengeschäft hat sich eine Schmuckwerkstatt eingemietet. Dort finden wir eine Ecke für die Fotos und unser Gespräch. Das dreht sich um seine neuesten Brillenkreationen und um die Frage, warum er eigentlich Brillen entwirft, wo er doch in seiner Jugend Kakteen züchtete. Martin Lehmann studierte zuerst Philosophie sowie Literatur und jobbte im Gartenbau. Erst auf Umwegen kam er zum Brillendesign. Früher habe der Beruf des Brillenbauers zum Hand-werk gezählt, irgendwann aber sei er aus der Handwerkszunft herausgefallen, erzählt er. „Brillen zu gestalten hat jedoch immer eine handwerkliche Komponente. Dabei arbeiten wir auf einem sehr kleinen Feld, begrenzt auf das Auge. Das reduziert die Ausdrucksmöglichkeiten des Designs.”
Für sein Brillendesign adaptiert er architektonische Konzepte. So lieferte ihm die moderne Fassade mit geometrischen Fenstereinsätzen des Mathematischen Instituts der Uni in Köln die Idee zum Thema seiner „Cut-out” Designs: „Über einer Grundstruktur aus transparentem Acetat liegen geometrische Formen in gemäßigten Farben. Es entstehen verschiedene, mehr oder weniger sichtbare Ebenen, Formen, die sich aus der Form entwickeln.” Das mache eine größere Fassung filigraner und dezenter, verleihe der Brille und dem Gesicht aber eine charismatische Wirkung, erklärt Lehmann. „Die Überlegung war, wie man die Anmutung einer Metallbrille auf Acetat übertragen kann, allerdings weg von den voluminösen, wuchtigen Gestellen hin zu feineren, minimalistischen Modellen.”
Brillendesign hat immer eine ästhetische und eine handwerkliche Komponente. Ich finde beide extrem spannend!
Er selbst sei überrascht über die Freiheit, die er als Designer beim Gestalten einer Brille ausschöpfen kann. „Eigentlich ist es ein Wahnsinn, was man auf dem begrenzten Raum einer Brille an Entfaltungsmöglichkeiten hat.” Den entscheidenden Impuls gab ihm im Jahr 2000 der Besuch einer Brillenmesse in Mailand. Er sei vom Design-Lab fasziniert gewesen, in dem sich die Avantgarde präsentierte, bekannte internationale Marken wie Mikli, Anne Valentin, Theo, LA Eye-works oder Robert La Roche. „Hier tat sich für mich eine neue, kreative, aufstrebende Welt der Eyewear auf, in deren Mittelpunkt moderne Brillen standen, die Geschichte hinter jedem Design, das Einbetten in ein Markenkonzept. Heute hat die Brille längst einen anderen Status, ist zum Mode- und Designobjekt geworden – und für fehlsichtige Menschen kein notwendiges Übel mehr.”
Von Hand zeichne er noch ausgefallene Brillenmodelle, erzählt Martin Lehmann. Manchmal träume er eine besondere Form. Mit Bleistift und Pergamentpapier fertigt er dann eine Zeichnung an. „Das sind einfache Skizzen, die eine Idee festhalten. Wir erfi nden im Brillendesign ja das Rad nicht ständig neu, sondern perfektionieren, transformieren bereits vorhandene Formen. Wir setzen ständig Leuten unsere Brillen auf die Nase, um zu sehen, ob sie funktionieren.” Denn bevor eine Brille in die Produktion geht, muss ein Prototyp, ein Produktionsmuster gewährleisten, dass alle technischen und ästhetischen Parameter stimmen. Bei jeder neuen Kollektion denkt er zuerst in Stilelementen, nimmt Einflüsse aus der Kunst, der Architektur, der Mode auf. „Man muss gewisse Trends in das Brillenkonzept einarbeiten, sie jedoch in einer eigenen Handschrift und Designsprache umsetzen. Ein Design, das am Zeitgeist vorbeigeht, ist unbeweglich. Design muss sich stets weiterentwickeln, auch das Brillendesign ist lebendig, darf nicht stehenbleiben. Wir Designer sind gefordert, subtile Strömungen aufzunehmen.” Lange Zeit dominierten in der Martin & Martin Kollektion eher filigrane Brillen. „Bei einer Metallfassung mit einem Millimeter Durchmesser sind die Ausdrucksmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt. Weniger geht nicht.” Inzwischen spürt Lehmann ein Umdenken, einen Trend zurück zu mehr Volumen, mehr Material. Zu Brillen, die ein Statement abgeben. „Derzeit sehen wir, dass wer Brille trägt, sich wieder kräftige, präsente Formen wünscht. Bold-Brillen, aber nicht in schwarz und alter Schwere, sondern leicht und licht in soften transparenten Farbtönen. Schwarz geht nur bei besonders minimalistischem Fassungsdesign. Trotz ausdrucksvoller Formen wirken unsere Fassungen nie klobig, sie bleiben leicht, fühlen sich toll an.” Eine abschließende Frage an den Designer: Woran erkennt der Verbraucher, ob eine Brille im Gesicht optimal passt? Martin Lehmann: „Am bequemen Sitz! Das ist ein geradezu instinktives Gefühl bei jedem, der verschiedene Brillen aufprobiert hat. Man merkt, ob die Passform stimmt. Im Idealfall sollte der Brillenoberrand der Augenbrauenlinie folgen. Und die Breite der Brille sollte mit der Kopfform harmonieren, das Gesicht umfassen, nicht breiter, aber auch nicht schmäler sein.”
Fotos: Angela Mrositzki; Martin & Martin