Italienisches Design lebt von Experimentierfreudigkeit, Improvisationsvermögen und Ideenreichtum. Von kulturellen Traditionen, Kreativität und dem Feingefühl der Designer für: LaBellezza. Schönheit, die nicht zuletzt Produkte begehrenswert macht. Auch eine Brille, die durch ihre Form, ihre Farbe, durch schöne Details, besticht.
Für die italienischen Brillendesigner Eric Balzan, Corrado Rosson und Laura Rattaro gehören Schönheit als ästhetischer Wert und die Qualität der Sehfunktion im Brillendesign eng zusammen. Das zeigen ihre neuesten Kreationen, die ganz auf dieser „italienischen Gestaltungslinie” liegen.
CORRADO ROSSON
Ein kleiner Vogel – der Lightbird – ist zugleich Markenname und Sinnbild einer jungen italienischen Brillenmarke und Kollektion. Ihr Urheber, der Designer Corrado Rosson, entwirft Brillen mit Herz und Passion. Im Lightbird sieht er sein „zweites Ich”, einen guten Freund, mit dem er seine Leidenschaften teilt, vor allem die Begeisterung für das Fliegen. Rosson: „Der im Markenemblem als Herz stilisierte Vogel und der Mythos vom Fliegen verbinden sich symbolhaft mit dem Produkt Brille und meiner Wertschätzung des ‘Made in Italy’.” Dabei verkörpert die Marke eher die Idee des Fliegens, denn der kleine Vogel hat keine Flügel, sondern lange, dünne Beine und Füße. Er könne gar nicht fliegen, erklärt Rosson, der die Figur mit wenigen Strichen illustriert hat. Auch die stilisierte Darstellung in Form eines Herzens sei nicht zufällig, fügt er hinzu. „Der Vogel, der spielerisch Hindernisse überwindet, steht für einen imaginären Flug in die Zukunft, für Leidenschaft und Leichtigkeit.
In der Vision Rossons ist der Vogel eine Allegorie des Menschen, der an ein Ziel kommen will. Dem Lightbird gelingt das dank seiner Passion auch ohne Flügel. „Um aber eine Botschaft zu kommunizieren, musste der Vogel mit jemandem interagieren. So kam ich auf den weisen Fuchs, eine Figur aus Antoine de Saint-Exupérys Erzählung des kleinen Prinzen.” Auf der Webseite und in der Werbung erzählen die fabelhaften Figuren die Seele der Marke auf eine emotionale Art und Weise. Der kleine Prinz sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.” Er gebe sowohl Kindern als auch Erwachsenen eine sehr einfache, aber tiefgreifende Lektion über die Werte des Lebens wie Freundschaft und Menschlichkeit, ist der Designer überzeugt: „Einfache Botschaften und Bilder erinnern daran, dass hinter jeder Marke, jedem Unternehmen und jeder Idee Menschen stehen.”
"Der Lightbird ist meine Kreatur - und wie ich rastlos. Ich werde von einer ewigen Ruhelosigkeit getrieben, bin immer auf der Suche nach kreativen Impulsen, einer neuen Herausforderung."
Corrado Rosson wuchs in Tiser auf, einem abgelegenen Bergdorf des Agordino-Gebietes in den italienischen Dolomiten. Wie die meisten Familien in der Region arbeiteten die Eltern in der Brillenindustrie. Für sein ausdrucksstarkes Brillensdesign erhielt Rosson bereits mehrere Auszeichnungen. Charakteristisch für seine ästhetischen Codes sind starke kantige Linien, der Fokus auf geometrische Grundformen, sowie eine mutige Experimentierfreude beim Einsatz der Materialien, unter anderem Aluminium. Die Kollektionen „Light Matter” und „Light Mirror” umfassen Fassungen und Sonnenbrillen für Damen und Herren sowie Unisexmodelle. Die Fassungen der Mirror-Kollektion kombinieren hochwertiges reines Kupfer und Messing mit Acetat. Neu ist die junge Acetat-Linie „Light Social”. Mit ihr schwingt sich der Lightbird fortan zu neuen Horizonten auf.
LAURA RATTARO
An einem sonnigen Herbsttag treffe ich die italienische Brillendesignerin Laura Rattaro. Unter einem Ginkobaum, dessen Blätter im Morgenlicht gelb-gold erstrahlen, machen wir ein Portraitfoto von ihr und unterhalten uns über die Magie der Farben. Das Zusammenspiel von Tönen, Farbnuancen und Kontrasten bestimmen von jeher Rattaros Design. Das nächste Portrait entsteht vor einer knallroten Wand an ihrem Arbeitsplatz im heimischen Marostica, einer Stadt in der Provinz von Vicenza. In dieser Gegend sei noch heute Italiens Brillenhandwerk zuhause, erklärt sie, und spricht vom „genius loci”, von der Brillenhistorie, die eng mit Orten und Unternehmen der Region Venetien verbunden ist. Im nahen Bassano del Grappa steht auf einer Aussichtsterrasse die Skulptur „King Kong Rhino” des taiwanesischen Künstlers Li-Jen-Shih, ein gigantisches Nashorn aus blankem Edelstahl. Das mächtige Tier, das Stärke, Selbstbeherrschung, Sicherheit, Schutz und Erfüllung symbolisiert, fasziniert die Designerin und dient uns als ein weiteres Fotomotiv. Gelb. Rot. Silber. Farben rufen Stimmungen hervor. Im besten Fall positive, sagt Rattaro.
Sie studierte die Farbenlehre von Newton bis Goethe, die Alchemie und die Wirkung von Farben, ihren Einfluss auf den Menschen. „Jetzt in der Covid-Pandemie frage ich mich oft, welche Farben die Menschen in diesem dunklen Moment tragen möchten und wählte kräftige, optimistische Töne wie ein leuchtendes Gelb und Orange, ein elektrisches Blau, ein die Sinne anregendes Türkis, ein kräftiges Rot auf schwarzem Hintergrund, der für Kontraste sorgt.” Blau soll übrigens weltweit die Lieblingsfarbe der Menschen sein, danach folge Rot, verrät sie ein kleines Geheimnis. Rattaros Brillenentwürfe zeichnen sich durch Originalität aus, ohne stilistische Übertreibungen. Es ginge ihr nicht um Extravaganz, betont sie. Die tragbarsten Formen seien die klassischen. Von Beruf ist sie ursprünglich Augenoptikerin, wie ihr Vater Armando, der ein Geschäft in Genua führt. Sie weiß um die technischen Anforderungen an die Fassung als Sehkorrektur. Jedoch ist eine Brille für Laura Rattaro nicht allein eine funktionale Sehhilfe – sie sieht in ihr auch ein ästhetisches Objekt.
"Ich versuche mich in die Brillenträgerin, den Brillenträger hineinzufühlen. Ich möchte, dass ein Brillenkauf Lust und Freude macht! Das hat viel mit Energie, Leichtigkeit, Positivität zu tun!"
Als Designerin arbeitete sie unter anderem für deutsche Unternehmen wie Nigura, Rodenstock und Flair. „In Deutschland erwarb ich mein technisches Know-how und lernte, worauf ich beim Entwurf achten muss.” Ihr farbenfrohes, zumeist grafisches Design setzt sie heute für die italienische Brillenmarke Lamarca um. „Ich verstehe mich als Interpretin der Bedürfnisse des Unternehmens, für das ich Brillen entwerfe”, entgegnet sie – und spricht von Synthese: „Bei der Synthese kommen brillante Dinge heraus, ein gutes Design ist oftmals das Ergebnis eines Augenblicks, eines Geistesblitzes. Man erschafft aber nichts aus dem Nichts. Bei der Gestaltung muss ich das Produkt gut kennen, muss wissen, wie das Sehen funktioniert, wie die Materialien und Produktionstechniken einzusetzen sind, die Kriterien für die optimale Passform und den Tragekomfort einer Brille kennen”, erklärt die vitale Designerin, die Professionalität, Empathie und Fantasie auf eindrucksvolle Weise in sich vereint.
ERIC BALZAN
Eric Balzan ist in Belluno, der Wiege der italienischen Brillenindustrie, zuhause. 2013 gründete er sein Startup-Projekt, die junge Marke und Kollektion „Hapter”, die innovative Technologien mit traditionellen Produktions- und Handwerksprozessen verbindet. Auslöser war der Fund einer Gletscherbrille in den heimatlichen Bergen der Dolomiten. „Sie ist der Archetypus einer Sonnenbrille, die früher als reine Schutzbrille vor dem rauen Wetter in den Alpen schützte. Ihre Funktion war die Inspiration für unser Produkt.” Dessen Besonderheit: Unterschiedliche Stoffe und Gummimaterialien werden mit einem elastischen, leichten, rostfreien Edelstahl verbunden, welcher der Brille als Struktur, als „Skelett” dient. „Wir sprechen von einer Fusion, welche die zwei Materialien miteinander verschmilzt, aus denen die Fassungsformen gefräst werden.”
Junge Visionen: Eric Balzan geht mutig neue Wege im Fassungsdesign und bei den Herstellungstechniken.
Balzan und sein Team erkunden neues Brillenterrain. Radikal. Experimentell. Progressiv. „Es hat einige Jahre gedauert, das Projekt anzuschieben und bisher gewohnte Produktionsprozesse der Brillenindustrie zu überdenken. Wir entwickelten und investierten in eigene, patentierte Technologien.” Die Dolomitengipfel in Sichtweite fahren wir an diesem Novembermorgen in das Bergdorf Borca di Cadore. Am Fuße des Monte Antelao unterhielt der italienische Mineralöl- und Energiekonzern Eni zwischen den 1950er und den 1960er Jahren für seine Mitarbeiter eine Ferienkolonie – einen weitläufi gen Komplex aus privaten Bungalows, Gesellschaftsgebäuden, Hotel, Campingplatz sowie der Kirche „Nostra Signora del Cadore”. Balzan ist fasziniert von der Architektur des Freizeitdorfes. „Ein außergewöhnlicher Platz! Er vereint spannende architektonische Elemente. Dabei ging es den Architekten weniger um die große ästhetische Linie. Die Idee war die eines sozialen Stadtplanungssystems – dennoch finde ich die Gebäudearchitektur ästhetisch schön. Das Projekt ist damals wie heute modern und visionär, weil es eine organische Architektur in die Natur integriert, so dass sie vollständig mit dem Territorium verbunden ist.”
Eine junge Vision verfolgt Balzan auch mit dem Designkonzept der Hapter-Brillen. Die „Prime-Line“ sei in gewissem Sinne das Original, der Ursprung und die reinste Interpretation der Marke Hapter. Die „Icons Line“ ist die Avantgarde-Linie, die ikonische Retro-Looks interpretiert – eine Hommage an die Historie der Gletscherbrille und die Bergwelt der Dolomiten. „High Line“ präsentiert zeitgemäßes, modisches Fassungsdesign, die „Mountain Line“ zeigt sportlich funktionale Retro-Fassungen. Bei der „Wiry-Line“ wird das Material minimalistisch auf einen Metalldraht reduziert. Der Verbraucher erwarte Qualität beim Material und in der Verarbeitung, darüber hinaus suche er Produkte mit Charakter. Hapter präsentiere keine übermäßig extravaganten, eher tragbare Brillen. Eric Balzan: „Unser Fassungsdesign bietet ausdrucksstarke Alternativen.”
Fotos: Angela Mrositzki
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