Erstveröffentlicht in der Herbst/Winter-Ausgabe 2023/24
Konzepte, Zyklen, Trendvorhersagen: Farbexpertin Francesca Valan studiert die Entwicklung des Kolorits. Ihr Studio liegt in einem der altehrwürdigen Bauten in der belebten Mailänder Innenstadt. An weißen Wänden lehnen kunterbunt aufgereihte Farbmuster und Farbtafeln: Bei Francesca Valan dreht sich sichtbar alles um die Sprache der Farben.
Die studierte Industriedesignerin ist spezialisiert auf die Gestaltung von Farbkonzepten, Materialien und Oberflächen und gilt als international erfahrene und passionierte Farbexpertin. Von Technik über Möbel bis hin zu Kinderspielzeug – unter anderem beriet sie den weltweit bekannten Spielwarenhersteller Lego – weiß Valan um die Wirkung des Kolorits, die Bedeutung von Farbtrends und die Ordnung in der Vielfalt der Farben.
Sublime Eyewear: Francesca Valan, verraten Sie uns etwas über Ihre Arbeit als Farbdesignerin … Als Farbdesignerin bin ich in den Designprozess involviert, denn man wählt Farben nicht nach dem Gefühl aus – sie sind ein wesentliches Element eines ganzheitlichen Designkonzeptes. Farbgestaltung entwickelt sich über mehrere Phasen und unterschiedliche Analysen, je nach Unternehmen und Produkt. Natürlich schaue ich mir auch Trends an, aber das ist ein eher kleiner Teil des gesamten Prozesses. Ich erstelle Design- Tools, denn es geht darum, Farben ordnen und zuordnen zu können und eine Art Handbuch der Farbrichtlinien für die Produktgestaltung oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens zu entwickeln.
Gibt es Farbprinzipien, die zu berücksichtigen sind?
Wer mit Farben arbeitet, weiß, dass es schwieriger ist, sie wegzunehmen als hinzuzufügen. Um unterschiedliche Räume, Volumen und Farbtöne zusammenzubringen, darf man es mit der Farbe nicht übertreiben. Für die Gestaltung von Inneneinrichtungen wende ich beispielsweise die „7er-Regel“ an. Sie geht von sieben verschiedenen Merkmalen aus, über die man nicht hinausgehen sollte, um die Harmonie zwischen Materialien, Oberflächen und Texturen zu gewährleisten, den Raum nicht zu überlasten und Platz für die Menschen zu schaffen.
Gilt diese Regel auch für das Brillendesign?
Mit der Covid-Pandemie haben sich die Regeln verändert, gibt es keine wirklichen Farbtrends mehr. Wir brauchen niemanden, der uns sagt, welche Farbe wir tragen sollen. Die Wahl der Farbe ist bei einem Objekt wie der Brille intimer geworden. Waren wir bisher an die Schnelllebigkeit der Mode gewöhnt, verlängern sich nun die Zyklen und bei den Farben ist zeitloses Kolorit gefragt. Eine Brille wird ja im Schnitt drei oder vier Jahre lang getragen, ist eine Farbe nach einer Saison nicht mehr aktuell, macht das auch aus Sicht der Nachhaltigkeit wenig Sinn. Unter diesem Aspekt sollten besser zeitlose Farben bevorzugt werden. Beim Kauf einer Brille sollte man jedoch die Farbe wählen, die einem gefällt. Das allerdings erfordert das Bewusstsein für die eigene Persönlichkeit, die durch individuelle Vorlieben, durch die „persönlichen Farben“ zum Ausdruck kommt. Natürlich gibt es immer noch Trends, es gibt das emotionale Bedürfnis nach Farben. Doch jeder sollte seine Farben selbst wählen.
„Die Bedeutung der Farben und die Kunst, sie richtig anzuwenden, ist wie eine Sprache – die verändert sich je nach Kultur.“
Und welches sind die Farben Ihrer Persönlichkeit?
Im Moment fühle ich mich wohl mit allen Blautönen. Blau ist meine ikonische Farbe, zeitlos, etwas stiller in der Wahrnehmung, unauffällig, diplomatisch. Blau ist aber eben nicht Schwarz, was gleichsam das Fehlen von Farbe bedeutet. Sprechen wir allerdings über Pflanzen und Blumen, mag ich sie in allen Farben.
Warum gibt es überhaupt die „Farben des Jahres“?
Ich nehme diese Farbtrendbestimmungen zur Kenntnis, sehe sie aber eher kritisch. Es gleicht einem Diktat der Farbe und ist aus meiner Sicht unzeitgemäß. Die Sprache der Farben spricht jeder auf eine andere Weise. Ein Beispiel: In Deutschland ist das Design vorwiegend funktional und auch Farbe wird eher als funktionales Element eingesetzt. Als Olivetti Ende der 1960er Jahre das Modell Valentine, eine mechanische Schreibmaschine, in leuchtendem Rot auf den Markt brachte, wollten die Deutschen sie in Grün haben – denn Rot war für sie eine symbolische Signalfarbe, unter anderem auch die Farbe der Tab-Taste. Die Römer schmunzelten über die Kelten, dachten, dass deren vermeintliche blaue Kriegsbemalung ihnen Angst einflößen sollte. Aber die Kelten nutzen das dunkle Indigoblau, um Verwundungen zu behandeln, denn sie wussten um die antibakterielle, desinfizierende Wirkung des Pigments.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Farbe, Oberflächen und Texturen?
Farbe hat viele Dimensionen, unter anderem den jeweiligen Farbton, die Helligkeit und die Sättigung. Eine Farbe kann ihre Helligkeit ändern und mehr oder weniger intensiv sein, wenn sich die Sättigung verändert. Das Farbdesign hat sich aber fortentwickelt, weitere Dimensionen sind hinzugekommen. So das Kriterium der Oberfläche, die in glänzend, matt oder strukturiert unterschieden wird. Hinzu kommt die Farbwirkung, die den Materialien eigen ist und nicht zu vergessen die emotionale und symbolische Dimension der Farbe. Es ist wichtig, die Unterschiede zwischen Transparenzen, Opazität, Transluzenz zu kennen, wir müssen Farben verstehen, anwenden und gestalten können.
Gibt es Farben, die Sie für eine Brille ausschließen würden?
Nein, alle Farben sind denkbar. Jedoch kommt es auf darauf an, wie eine Farbe wirkt. Seit den 1980er Jahren sieht man viel mehr farbiges Kolorit bei Brillen. Mehrfarbigkeit bei einer Fassung ist heute nicht ungewöhnlich. Die Menschen sind mutiger geworden, tragen selbstbewusst farbige Brillen, auch wenn sie so ziemlich das erste ist, das wir von ihrer Person wahrnehmen.
Welchen Rat würden Sie Brillendesignern geben?
Keine Kompromisse eingehen! Zu den meistverkauften gehören die zeitlosen Farben, mit denen macht man nichts falsch. Spielt man aber mit gewagten, kräftigen Farbtönen, sollte dies auch sichtbar sein. Zeitlos sind nach wie vor die ikonischen Farben Schwarz und Weiß, Havannatöne, auch ein klassisches Rot. Im Moment sehe ich das Bedürfnis nach saturierten Farben, auch polychromatische Farbharmonien erleben ein Comeback, ebenso stimmungsvolle Zwischentonfarben, wie beispielsweise die Farbpalette an Terracottatönen.
Was wissen wir noch nicht über Farbe?
Wir wissen viel über sie, beherrschen jedoch oftmals nicht den Umgang mit Farben. Bei der professionellen Arbeit mit Farbkonzepten ist noch Luft nach oben. Um Farbwissen zu erwerben und ein Farbgefühl zu entwickeln, muss man Farbdesign studieren. In Japan können Designer eine Lizenz als Farbprofi erwerben! Sie legen eine Prüfung ab und sind dann anerkannte Farbexperten.
Fotos: Angela Mrositzki
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