Face à Face: kreatives Erbe der Memphis-Bewegung

Erstveröffentlicht in der Frühjahr/Sommer-Ausgabe 2023

Comics, Filme, Kitsch. Unregelmäßige Formen in leuchtenden Farben, bunt oder in Pastelltönen. Schwarzweiße Muster, Kreise, Dreiecke, Punkte und Linien, verspielt, zeichenhaft. Das französiche Brand Face à Face wandelt auf den kreativen Spuren der italienischen Kunstbewegung „Memphis“.

Es ist der Abend des 11. Dezember 1980. Eine Gruppe junger italienischer Designer und Architekten hat sich in Mailand im Wohnzimmer von Ettore Sottsass versammelt, einem der interessantesten Designer der Postmoderne. Gesprächsthema ist die Zukunft des Designs, die Formgebung und Ästhetik von Objekten, von Wohninterieur. Im Hintergrund läuft an diesem Abend der Song „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ von Bob Dylan. Mit ihm wird die italienische „Memphis-Designbewegung“ geboren, ein Designkollektiv, das mit Sottsass als kreativem Vordenker einen radikalen Bruch mit dem Funktionalismus der Moderne wagte. Industrie, Werbung, der Alltag lieferten den Designern ein Cocktail an Ideen, ebenso wie Comics, Filme, die Punkbewegung oder purer Kitsch.

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Beim Korrektionsmodell „Moves“ verleihen geometrische, farbige Versetzungen den Fassungen Dynamik und Volumen.

Fantasievoll, zeichenhaft, witzig spielt das Memphis-Design mit unregelmäßigen Formen und Linien, Kreisen, Dreiecken und Punkten, mit Dekors in leuchtenden Farben, mal schreiend bunt, mal in süßlichen Pastelltönen oder schwarzweißen Mustern. Bücherregale, Vitrinen, Sessel und Sofas: Memphis-Möbel werden collagenhaft aus elementaren Formen wie Kegeln, Kugeln, Pyramiden oder Würfeln zusammengesetzt und mit farbigen Kunststofflaminaten beschichtet. Die kunstvollen Arrangements und Assemblagen plastischer Objekte stellen weniger ihren praktischen Gebrauchswert als eine dekorative Designästhetik in den Mittelpunkt. Was mit Mö-beln begann, wurde bald so beliebt, dass der Memphis-Stil auch Kunst, Grafikdesign und Mode erfasste.

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Klare Linien, moderne Konstruktion: Herrenbrille „Eiffel“ (links). Sonnenbrille „Gioco“ ziert eine Rautenform als schmückendes Detail.

Vier Jahrzehnte später greift nun ein junges Team von Designern den „Memphis Spirit“ wieder auf: Marianne Dèzes, Claire Ferreira und Robin Apprioual entwerfen bei dem in Paris ansässigen Brand Face à Face die Brillenkollektion „Memphis“. Stilistische Vielfalt, Energie und Gestaltungsfreude des Designs der 1980er Jahre begeistern sie so sehr, dass sie diesen „Spirit“ in ein modernes Fassungsdesign übersetzen. Der Memphis-Look sei eine unendliche Quelle der Inspiration, denn genau darum ginge es ihnen, betont das Trio: Kulturen, Farben, Formen phantasievoll zu kombinieren, aus ihrer Überkreuzung etwas Neues, Faszinierendes und Kraftvolles entstehen zu lassen. „Beim Besuch einer Ausstellung über die Kunst der Achtziger ist uns klar geworden, dass die Memphis-Bewegung zum Designkult jener Jahre wurde. Was uns besonders gefällt, ist die extreme Spontanität, der Antikonformismus, die Kühnheit des Memphis-Designs zur damaligen Zeit – weit entfernt von dem, was die Welt derzeit gerade lebt.“

Memphis Design: Ein wilder Mix aus Kitsch, Werbeästhetik, Popkultur und Postmoderne, neu interpretiert in der Brillenkollektion von Face à Face.

Carlton, Casablanca, Ginza, Max, Madrid, D’Antibes heißen Bücherregale, Sideboards und Schrankelemente, Betten aus Holz oder Kunststofflaminat aus der Schaffensperiode des Memphis-Kollektivs. Knallbunt, asymmetrisch und voller Übertreibungen manifestierte sich ihr Stil als das Anti-Design zur klassischen Moderne, mit dem sie das Diktat des Funktionalismus überwanden und die Regeln des „guten Geschmacks“ brachen. Ihr Brillendesign interpretiere die Memphis-Stileinflüsse heute auf lebendige Art neu, betont das Designteam von Face à Face.

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Zu seinen Ikonen gehört der Sessel „Fliegender Teppich“ – mehr Kunstwerk als Möbelstück. Er wurde 1974 von Ettore Sottsass entworfen, wohl inspiriert von den Erzählungen über Teppiche als magisches Transportmittel arabischer Gottheiten und Könige. Für Robin Apprioual ruft das Sitzmöbel Erinnerungen an den Disney Zeichentrickfilm „Aladin und die Wunderlampe“ wach. Marianne Dèzes Lieblingsstück ist die Lampe „Tahiti“, ebenfalls von Sottsass kreiert: Der stilisierte Entenkopf in Kombination mit explosiven Farben und Motiven wurde zu einem der bekanntesten Aushängeschilder der Gruppe. Die Lampe „mit ihrer verrückten totemistischen und anthropomorphen Präsenz“, konzentriere für sie die gesamte Memphis-Ästhetik, die Kontraste von Farben, Volumen und Fun-Effekt. Dèzes: „Sie ist als Leuchte zu gebrauchen, gleichzeitig gestaltet sie unseren Alltag extravagant und verrückt. Kein Stück nur fürs Museum!“ Claire Ferreiras Favorit ist die Couch „Big Sur“, 1986 vom Amerikaner Peter Shire gestaltet. Das Sofa, ein bemerkenswertes Kunstwerk der Postmoderne, interpretiere das Designprinzip „Die Form folgt der Funktion“ in einer cleveren und lustigen Art: „Shires Mix geometrischer Formen und kühner Farben, welche die asymmetrische Silhouette des Sofas definieren, wirkt wie zufällig – tatsächlich ist das Möbel im Detail durchdacht.“

Fotos: Face à Face