Erstveröffentlicht in der Herbst/Winter-Ausgabe 2024/25
Erzählen. Erinnern. Entdecken. Seit den 1970er Jahren ist Marwitz eines der bekannten deutschen Brillenunternehmen. Von Berlin aus eroberte Seniorchef Hans-Joachim Marwitz mit dem Brand Conquistador die Brillenwelt. Für die Sublime Eyewear öffnete er sein privates Archiv für eine kleine Zeitreise durch die Brillengeschichte.
Eine natürliche Neugierde und der Wunsch, ferne Länder, Menschen und Kulturen zu erkunden, haben Hans-Joachim Marwitz Zeit seines Lebens begleitet. Seit den 1970er Jahren gibt es sein Unternehmen im schönen Grunewald, einer grünen Oase inmitten der Hauptstadt Berlin. Gelernt hat Marwitz Werkzeugmacher in einer Brillenfabrik in Stuttgart. Doch bevor er endgültig zur Brille kam, fuhr er als Mechaniker auf einem Frachtschiff der Hamburg-Amerika-Linie um die Welt. Jede Reise wurde ihm zur Quelle der Inspiration für das Design und die Farbwelten seiner Marke Conquistador. Auch die gibt es seit den 1970er Jahren.
Hans-Joachim Marwitz, aus der heutigen Zeit betrachtet gibt es einige Brillenkuriositäten in Ihrer Sammlung. Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die Modelle aus den 1970er und 80er Jahren. Da wurden Brillen plötzlich groß und sollten cool sein. Damals stand in Berlin noch die Mauer – nur so viel zur geschichtlichen Einordnung! Die Formen waren äußerst experimentierfreudig und selbst für heutige Verhältnisse auffallend groß. So groß, dass sie oft auf den Wangenknochen auflagen. Damals spielte der Tragekomfort noch eine untergeordnete Rolle. Neben vielen Braun-, Orange- oder Grüntönen kamen in den 80er Jahren auch Neonfarben zum Einsatz. Das Wort „cool" war in aller Munde und so wollte sich auch die Brillenmode präsentieren.
Richtig farbig und bunt wurde es aber doch in den 1990er Jahren?
Aus gutem Grund: Der Fall der Mauer sorgte für Aufbruchsstimmung, die sich auch im Lifestyle und damit in der plötzlichen Explosion einer Farbenvielfalt wieder spiegelte. Bei den Brillen kamen Kunststoffe und Acetat als Materialien auf. Die Hersteller der Acetatplatten wagten sich an wilde Kombinationen, mischten unterschiedliche Farben und jede einzelne Acetatplatte stellte ein individuelles Farbspektrum zusammen. Mit den Jahren aber wurden die Fassungsformen langsam kleiner – und nach der Dominanz des Acetats wurden zur Mitte der 90er Jahre plötzlich nur noch dünne und weniger auffällige Metallfassungen getragen. Dieser Trend zu kleineren Fassungen hielt bis in die 2000er Jahre und darüber hinaus an. Das neue Jahrtausend sorgte für zuvor nie dagewesene schmale, sehr feine Formen. Teilweise waren Brillengläser gerade so groß, dass dahinter nur die Augen zu erkennen waren. Filme wie Matrix mit ihren futuristischen Brillendesigns wurden Kult, minimalistische Designs standen hoch im Kurs. Erst ab 2010 wurden die Scheiben wieder größer und entsprachen dem heutigen Zeitgeist. Die Farben waren vergleichsweise einfach gehalten und klassische, aber auch modische Modelle existierten nebeneinander. Außerdem wurden verschiedene Stile und Formen kombiniert und nur selten gab es eindeutige Trends, wie die Retro-Welle Anfang der 2020er Jahre. Materialien wie Titan wurden nun serienmäßig eingesetzt und neuartige Spritzgussmaterialien fanden Verwendung. Heutzutage sieht man wieder die Tendenz zu mehr Mut bei Farben und Formen, wobei runde Brillen und Pantoformen schon seit vielen Jahren den Markt dominieren.
Kommen wir zu Ihren Brillenkuriositäten …
Besonders am Herzen liegt mir die „Nähbrille“, wie ich sie nenne, die Inspiration kam von einer meiner Reisen in die Südsee. Die Auslegerboote der dortigen Insulaner werden mit Hilfe von Seilen zusammengehalten. Das gleiche Prinzip übertrug ich auf das Design und die Befestigung der Brillengläser. Für die Seidenbrille kaufte ich im Berliner Kaufhaus des Westens Seidenstoffe, die in zwei transparente Hälften einer Acetatfassung eingelegt wurden, sodass je nach Stoffmuster individuelle Designs entstanden. Sehr schön sind auch die handbemalten Metallfassungen. Mit viel Liebe und Kreativität wurden sie kurz nach dem Mauerfall in der Optikstadt Rathenow in Brandenburg mit vielfarbigen Fantasiemustern von Hand koloriert. Die handbemalte Brillenfassung ist übrigens das Modell der 2000er Jahre.
Hans-Joachim Marwitz, wohin geht Ihre nächste Reise?
Bleiben wir bei der Brille! Da kommt irgendwann alles wieder, angereichert mit technologischen Innovationen und neuen Materialien. Das macht meine Arbeit noch heute spannend.
Fotos: Giovanni Contarelli
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