Morel und die Balance zwischen Innovation und Tradition

Erstveröffentlicht in der Herbst/Winter-Ausgabe 2024/25

Fest in Familienhand: Amélie, Francis und Jérôme Morel führen in der vierten Generation den Brillenhersteller Morel mit Sitz im französischen Jura. Sie streben nach Unabhängigkeit und Identität als Unternehmen und nach Originalität und Kreativität in ihren Kollektionen.

Amélie Morel ist eine quirlige Powerfrau. Bei der Begrüßung am Empfang der Unternehmenszentrale in Morbier zeigt sie hinter einer Glaswand ausgestellte Fotos und Brillen von den Anfängen des Familienunternehmens bis heute. „Die Geschichte beginnt in Le Rousse. Mein Urgroßvater Jules hat in einem Haus am See den Grundstein gelegt. Er folgte den Jahreszeiten, indem er im Frühling und Sommer Landwirtschaft betrieb und im Winter Brillenfassungen, damals Zwicker, herstellte“, erzählt Amélie Morel. Jules Morel schuf damit die Basis für ein Unternehmen, das heute weltweit tätig ist. Von ihm übernahm Sohn Marius das Ruder. Mit großem Ehrgeiz und unternehmerischem Weitblick erweiterte dieser das Geschäft, indem er in den 1930er Jahren eine Fabrik kaufte und modernste Maschinen erwarb. Marius Morel setzte auf industrielle Produktion und machte es sich zur Aufgabe, Brillenfassungen in großem Maßstab herzustellen. Sein Innovationsgeist und seine Leidenschaft trieben die Firma voran und etablierten sie als einen der führenden Hersteller in der Optikbranche.

Im Haus am See in Le Rousse begann die Unternehmensgeschichte von Morel. Es ist noch heute in Familienbesitz.

Die 1960er Jahre brachten mit Jacques Morel – und damit der dritten Generation – eine neue Ära in das Unternehmen. Unterstützt von seinen Geschwistern führte er die Brillenmarke in internationale Märkte ein. Dank seiner Weitsicht und seines Geschäftssinns wurde der Familien- und Firmenname weltweit bekannt. Er war es auch, der die schwarze Katze als Markenzeichen etablierte. „Katzen sind unabhängig, wendig, haben eine hervorragende Sicht und repräsentieren deshalb unsere Brand“, sagt Amélie Morel auf die Frage, warum ausgerechnet dieses Tier zum Firmenlogo wurde. Die schwarze Katze in Verbindung mit dem Buchstaben „M“ ziert seit den 1960er Jahren alle Produkte – bis heute. In den 1990er Jahren trat schließlich die vierte Generation in die Gesellschaft ein. Amélie, Jérôme und Francis Morel führen heute das Erbe ihrer Vorfahren mit frischen Ideen und einem klaren Fokus auf Design und Innovation fort. Unter ihrer Führung wurde der Brillenhersteller zu einer Marke für kreative und stilvolle Brillen sowie handwerkliches Können.

Führen den Brillenhersteller in vierter Generation: Francis, Amélie und Jérôme Morel.

Bei unserem Rundgang treffen wir auf das Kreativteam. Im Designcenter, dem Herzen des Headquarters, tüfteln Designer und Techniker gemeinsam an rund 700 neuen Modellen pro Jahr. „Unsere Designer haben die Freiheit zu gestalten, was sie wollen“, so Amélie Morel. Das bestätigt auch Denis Bellone, Kopf des Desginteams. Zusammen mit vier weiteren Kreativen sitzt er in einem lichtdurchfluteten Raum, in dem sich die Ideen frei entfalten können. Wir schauen den Brillenentwicklern über die Schulter, wie sie mit Bleistift Handskizzen zu Papier bringen, die dann am PC zur 3D-Animation heranwachsen. Die kreative Energie steckt in jedem Detail: von der Auswahl der Materialien wie Carbon, Holz und Acetat bis hin zum Einsatz modernster Technologien wie dem 3D-Druck.

2023 wurde die Produktpalette auf drei Linien verteilt, um die Marke noch attraktiver und sichtbarer zu machen. Dazu gehören die Kollektion „M“, die durch ihr elegantes und dezentes Design besticht, die symbolträchtigen Modelle der Linie „Marius Morel“, inspiriert von der Unternehmensgeschichte, und die Kollektion „Morel“ mit ihrer einzigartigen, schrauben- und lötfreien Scharniertechnologie. Mit einer Kombination aus Mut und Kreativität entstehen so jedes Jahr neue Kollektionen, die Komfort und Stil vereinen und gleichzeitig die Geschichte und das Know-how widerspiegeln.

Das Morel-Team steht zusammen.

Die Leidenschaft und das Know-how sind seit je her ein Schlüssel zum Erfolg, zu dem eindeutig auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Valérie Prillard ihren Beitrag leisten. Wir treffen sie im Gang gegenüber des Designteams und haben die Gelegenheit, ihr bei der Arbeit zuzuschauen – an diesem Tag restauriert sie von Hand historische Brillen. Sie ist bei Morel für den Prototypenbau zuständig. Valérie Prillard ist die erste Frau, die in der Brillenbranche mit dem prestigeträchtigen Titel „Meilleur Ouvrier de France“ – beste Handwerkerin Frankreichs – ausgezeichnet wurde. Auch auf die Erfahrung von Marketingleiterin Yannik Jacob kann man in Morbier zählen. Unter ihrer Leitung wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, wie Energieeinsparungen, der Einsatz recycelbarer Materialien, der Verzicht auf überflüssiges Papier, wie z.B. Kataloge, aber auch das Pflanzen von Bäumen oder das Aufstellen von Bienenstöcken. Yannick Jacob betont, dass Nachhaltigkeit nicht nur das Produkt betrifft, sondern das gesamte Ökosystem des Unternehmens.

„Hier in der Gegend arbeiten wir alle in der Optik. Das ist wie ein natürliches Erbe.“ – Amélie Morel

Tradition trifft Moderne: Gründer Jules Morel als historisches Element in der aktuellen Markensprache.

Von der Logistik bis zum Kundendienst wird alles auf den Prüfstand gestellt und kontinuierlich verbessert. So wird in Morbier nicht nur repariert, sondern auch dafür gesorgt, dass alle aussortierten Komponenten und Fassungen am Ende ihrer Lebensdauer zu einhundert Prozent recycelt werden. Aber es geht nicht nur um Produkte – auch die Arbeitsbedingungen, Schulungsangebote und humanitäre Projekte haben einen hohen Stellenwert. Als unabhängiges und verantwortungsbewusstes Familienunternehmen setzt der Hersteller auf Authentizität. „Es ist ein Luxus, unabhängig zu sein“, sagt Amélie Morel. „Damit bewahren wir uns die Wendigkeit und können uns auf das konzentrieren, was wir tun wollen – sei es Strategie, Vertrieb oder Design. Außerdem haben wir das Glück, über eine eigene Herstellung zu verfügen.“ Für die Zukunft ist man bei Morel somit gut gerüstet – damit die spannende Reise durchdie Zeit und mit kommenden Generationen weitergeht.

Die Linie Marius Morel ist von der Unternehmensgeschichte inspiriert und besticht durch außergewöhnliches Design.

Fotos: Morel, Angela Mrositzki